Unsere Weltreise

Warum es wichtig ist, Flexibel und offen für Neues zu sein

Sturzfluten und ein neues Kapitel unserer Reise

Der Nachtbus nach Huế war eines dieser unerwarteten Reiseerlebnisse, die uns noch lange begleiten werden: Wir rollen im Dunkeln aus Ninh Binh hinaus, kriechen in unsere futuristischen Schlafkapseln, die eher an ein Raumschiff erinnern als an ein Verkehrsmittel. Jede Kapsel hat eine Massagefunktion, einen Monitor, USB-Anschlüsse, Kopfhörer, Leselicht – und mehr Beinfreiheit, als wir erwartet hatten. Während der Bus durch die Nacht summt, schaukeln wir uns langsam in den Schlaf.
Und tatsächlich: Es gelingt uns für ein paar Stunden zu schlafen. Tief, gut und überraschend erholsam.

Als wir in den frühen Morgenstunden Huế erreichen, sind wir viel zu früh dran. Ein Shuttle bringt uns beim ersten Tageslicht zu unserem Hotel im Herzen der alten Kaiserstadt. Es ist erst 5:30 Uhr, die Lobby noch verschlossen, die Stadt schläft – fast. Denn plötzlich durchbricht ein Klang die Stille: das laute Heulen der Warnsirenen.
Vietnam ist in diesem Jahr von den schlimmsten Überschwemmungen seit Menschengedenken betroffen. Flutwellen stürzen aus dem bergigen Hinterland herab, reißen Straßen weg, überfluten Städte. Bilder aus Huế, Nha Trang, Da Nang und Hoi An der letzten Wochen sind uns noch sehr präsent: Häuser bis zum zweiten Stock im Wasser, Boote in den Straßen, Menschen werden von den Dächern ihrer Häuser gerettet.

Und nun stehen wir hier, müde, hungrig, ohne Zimmer, während die Sirenen heulen und der Wasserpegel steigt.
Ein beunruhigender Moment. Ein mulmiges Gefühl macht sich breit.

Noch vor wenigen Tagen war das Wasser durch das Erdgeschoss unseres Hotels geflossen. Ein modriger Geruch liegt noch über der ganzen Stadt. Zum Glück bleibt unser Hotel dieses Mal verschont. Doch nur wenige Straßen weiter tritt der Fluss einmal mehr über die Ufer, eine große Brücke verschwindet vollständig unter den Fluten.

Nach unserem Checkin machen wir uns auf den Weg und erkunden die Gegend. Wir sehen wir zerstörtes Inventar auf den Gehwegen, Schlammschichten vor Geschäften, improvisierte Reparaturen – und auch Mut. Einige Läden sind bereits wieder geöffnet, andere werden wohl nie wieder öffnen. Man sieht: Diese Stadt kämpft. Immer wieder.

Für diesen Tag haben wir genug Eindrücke gesammelt. Wir essen in einem kleinen, warm erleuchteten Restaurant, tauchen ein in die fantastische Küche von Huế – dann fallen wir erschöpft ins Bett.

 

Die Kaiserliche Stadt von Huế – ein Fenster in Vietnams alte Seele

Am nächsten Tag zieht es uns in die Kaiserliche Stadt, die verbotene purpurene Zitadelle, bis 1945 das Herz der alten Nguyễn-Dynastie.

Sie ist mehr als ein historischer Ort – sie ist ein harmonisches Ganzes aus Tempeln, Toren, Gärten, Teichen, Hallen und Pavillons. Ein Ort, der erzählt: von Kaisern und Konkubinen, von Kriegen und Wiederaufbau, von Schönheit und Vergänglichkeit.

Die Kaiserliche Stadt von Huế – die „Imperial City“ oder „Kaiserliche Zitadelle“ – ist ein Ort, an dem man beinahe vergisst, in welchem Jahrhundert man sich befindet. Umgeben von einem breiten Wassergraben und einer imposanten, zehn Kilometer langen Mauer war sie einst das politische, kulturelle und spirituelle Zentrum des letzten vietnamesischen Kaiserreichs der Nguyễn-Dynastie.

Schon der Weg über die Zugangsbrücke wirkt wie eine Zeitreise. Durch das prächtige Ngo Mon Tor, das Haupttor, betritt man eine Welt aus rotem Lack, vergoldeten Ornamenten, Drachensymbolen und weitläufigen Höfen. Das Tor selbst ist ein Meisterwerk königlicher Architektur: Auf mehreren Ebenen thront ein Pavillon, von dem aus der Kaiser früher wichtige Zeremonien beobachtete und Botschaften an sein Volk verlas.

Dahinter öffnet sich eine streng konzipierte Anlage, die nach den Prinzipien des Feng Shui gestaltet wurde. Tempel und Residenzen sind in klarer Symmetrie angeordnet, immer in Beziehung zu den Elementen und zu den Himmelsrichtungen. Jede Halle, jede Tür, jeder steinerne Löwe hat seine Aufgabe im energetischen Gleichgewicht der Anlage.

Wir schlendern über riesige Innenhöfe, vorbei an duftenden Frangipanibäumen und Lotusteichen, die im sanften Wind kräuseln. Viele Gebäude wurden im Vietnamkrieg stark beschädigt – rund zwei Drittel der Kaiserlichen Stadt wurden zerstört – und dennoch spürt man überall ihre alte Pracht. Einige Hallen wurden liebevoll restauriert: rote Holzpfeiler mit goldenen Kalligrafien, kunstvolle Dachkonstruktionen mit tanzenden Drachenfiguren, polierte Steinböden, die Geschichten von Hofzeremonien und Kaiserprozessionen erzählen.

Einer der faszinierendsten Orte ist die Thai Hoa Hall, die Halle der höchsten Harmonie, in der die Kaiser gekrönt wurden und ausländische Gesandte empfingen. Der Thronsaal ist ein Meer aus Rot und Gold – würdevoll, feierlich und gleichzeitig überraschend filigran. Die geschnitzten Drachen, die den Thron bewachen, wirken lebendig, als würden sie jeden Moment Luft holen.

Gleich daneben liegen die privaten Wohnquartiere der Kaiserfamilie, darunter die „Verbotene Purpurne Stadt“, die früher nur den Kaisern und ihren engsten Angehörigen vorbehalten war. Viele Gebäude existieren heute nur noch als Ruinen, doch die Grundmauern lassen erahnen, wie weitläufig und verborgen das Leben hinter den Mauern gewesen sein muss.

Besonders bezaubernd sind die Gärten – stille Orte zwischen Teichen, Brücken und Pavillons, an denen man die Geräusche der Stadt völlig vergisst. Die Kombination aus kaiserlicher Symmetrie, chinesischer Ästhetik und vietnamesischem Feingefühl wirkt harmonisch und zugleich spirituell.

Während wir durch die Anlage gehen, spüren wir immer wieder, wie sehr dieser Ort die Geschichte Vietnams geprägt hat – und wie unendlich viele Schicksale sich hier abgespielt haben müssen: Machtkämpfe, Hofintrigen, Feste, Mandarinenklausuren, Krönungen, Trauerzeremonien.

Trotz Regen, Zerstörung und Wiederaufbau hat die Kaiserliche Stadt ihren Charakter bewahrt. Sie ist nicht einfach ein Museum. Sie ist ein atmendes Stück Geschichte – voller Narben, aber voller Würde.

Und genau das macht ihren Besuch so eindrücklich.

 

Neue Pläne – und eine unerwartete Entscheidung

Doch just in dem Moment, als wir unser Besichtigungsprogramm beenden und den Ausgang der Kaiserlichen Stadt passieren, kehrt der Regen zurück und zwingt uns zur Rückkehr in unser Hotel

Dort erreichen uns unerfreuliche Nachrichten: Im Südchinesischen Meer formt sich bereits der nächste Taifun. Der Süden Vietnams steht weiterhin unter Wasser, Straßen sind gesperrt, Flughäfen und Zugverbindungen beeinträchtigt. Wir sitzen im Hotelzimmer und wissen: So geht es nicht weiter.

Wir beginnen zu realisieren: Unsere ursprüngliche Route – über Da Nang nach Saigon, ins Mekong-Delta, dann weiter nach Kambodscha – ist nicht mehr sinnvoll. Die Entscheidung, den Süden auszulassen, fällt schwer.
Es bedeutet:
Kein Ho-Chi-Minh-Stadt. Kein Mekong. Keine Inseln. Keine Orte, auf die wir uns so sehr gefreut hatten.

Natürlich macht sich ein Enttäuschung breit. 

Doch heute wissen wir: manchmal führt einen das Leben genau dorthin, wo man eigentlich hin soll.

Wir entscheiden uns für Hoi An als letzten Stopp in Vietnam.

Die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörende Altstadt der alten Handelsstadt steht zu diesem Zeitpunkt immer noch komplett unter Wasser – zum vierten Mal in nur vier Wochen. Aber die Pegel sinken, die Prognosen sind gut. - Also fahren wir.

Wir planten nur ein paar Tage in Hoi An ein, ohne zu ahnen, dass dieser Ort unser Herz auf eine Weise gewinnen wird, wie es bisher kein anderer geschafft hat.

 

Hoi An – das Leben, das wir nicht gesucht haben, aber gefunden haben

Eigentlich wollten wir nur ein paar Tage in Hoi An bleiben, ein bisschen die Altstadt anschauen, Irene wollte ein paar Fotos machen. Dann wollten wir vom nahe gelegenen Da Nang aus weiterfliegen.

Aus den drei bis vier Tagen in Hoi An sind mittlerweile zwei Wochen geworden. Statt eines kurzen Besuchs finden wir hier etwas, das sich nur selten im Leben ergibt: Ein Gefühl von Ankommen. Ein Zuhause auf Zeit. Eine lebendige Gemeinschaft Gleichgesinnter.

Hoi An empfängt uns als wir abends ankommen (wir sind erneut mit dem Bus gereist) zunächst noch regnerisch, doch bereits am kommenden Tag ist die Stadt wieder voll in Betrieb, Restaurants öffnen, die Straßen der Altstadt sind frei von Wasser; der Thu Bôn und der Vin Cua Dai, die beiden großen Flüsse, die Hoi An umarmen, sind ihre Flussbetten zurückgekehrt.

Die Altstadt mit ihren malerischen gelben Häusern, die oft mehrere Jahrhunderte alt sind, erstrahlt im warmem Licht der Lampions. Tempel, kleine bleuchtete Boote und reges Markttreiben machen den besonderen Reiz aus, der uns fasziniert und sofort in seinen Bann zieht.

 

Doch das ist es nicht, weshalb wir immer noch in Hoi An sind.

Reisen ist anstrengend. Wir alle sind vom Reisen ein wenig müde geworden. Uns und besonders den Kindern fehlen die Kontakte zu Gleichaltrigen. Deswegen haben wir nach Möglichkeiten gesucht, andere Familien mit Jugendlichen zu treffen. Und hier in Hoi An haben genau das gefunden. Eine internationale Community, die so offen, herzlich und lebendig ist, dass wir gleich hineingezogen werden. Wir alle schließen hier Freundschaften, die auf ganz ähnlichen Erfahrungen während der Erkundung der Welt beruhen.

Und plötzlich füllen sich unsere Tage wie von selbst: wir entdecken Pickleball als neue Sportart für uns, unternehmen Spaziergänge am Strand, treffen uns in Cafés und Bars mit Livemusik, besuchen Workshops, spielen Badminton, führen inspirierende Gespräche mit Gleichgesinnten, schließen neue Freundschaften. Das ist insbesondere für Maximilian, Marlene und Mathilda eine tolle Erfahrung.

Wir leben hier ein Leben, das freier, ungezwungener und glücklicher ist, als wir es uns je hätten vorstellen können.  
Es ist näher an uns selbst, und gleichzeitig so weit entfernt von dem strukturierten Alltag in Steinfurt, dass wir uns nur schwer vorstellen können, dass wir dieses Leben dort so lange geführt haben.

Wir haben hier Zeit, uns ein wenig zu sortieren.

Die Kinder blühen wieder auf. Sie sind jeden Tag unterwegs, mit Freunden, mit Projekten, mit Spaß. Wir sehen sie strahlen, und das bedeutet uns alles. Und so sind aus den geplanten 4 Tagen inzwischen 14 geworden. Und wir könnten ewig bleiben. - Wenn da nicht das Ultimatum wäre, das uns unser Visum setzt.

Warum wir uns für ein Reisejahr entschieden haben – und was es mit unserem Mindset gemacht hat

Irgendwann gegen Ende des Jahres 2023 haben wir eine Entscheidung getroffen, die unser Leben komplett auf den Kopf stellen würde: Wir nehmen uns eine Auszeit, ein ganzes Jahr, um die Welt zu bereisen. Ein Sabbatjahr – etwas, das für uns lange wie ein schöner Traum klang, aber nie wirklich greifbar war. Doch je mehr wir uns damit befasst haben, desto klarer wurde: Das ist nicht nur ein Traum. Es ist machbar. Es braucht nur das richtige Mindset.

 

Der erste Funke: Warum eigentlich nicht?

Die Idee kam nicht über Nacht. Es war ein schleichender Prozess, ein Gedanke, der immer wieder aufkam, wenn wir von unseren langen Reisen mit unserem Wohnmobil zurückkehrten, in Reiseerinnerungen schwelgten oder uns von Dokumentationen inspirieren ließen. Eigentlich ist unsere Entscheidung im Nachhinein betrachtet nur die logische Konsequenz unserer bisherigen Reiseaktivitäten. Aber da war auch immer diese Stimme im Kopf: Geht das überhaupt? Können wir das wirklich machen?

Anfangs überwogen die Zweifel: der Job, das Haus, die Finanzen, die Schule der Kinder, all die Verpflichtungen des Alltags. Doch dann drehten wir die Frage um: Warum eigentlich nicht? Was hält uns wirklich davon ab?

Mindset: Von „irgendwann“ zu „wir Reisen Jetzt!“

Wir begannen, uns bewusster mit dem Thema zu beschäftigen. Je mehr wir darüber sprachen, desto realer wurde die Vorstellung. Wir lasen Reiseblogs, hörten Podcasts, sprachen mit Menschen, die Ähnliches gewagt hatten. Und vor allem machten wir uns klar: Es gibt immer Gründe, etwas nicht zu tun – aber wenn wir es wirklich wollen, gibt es auch Wege, es möglich zu machen. - Und diese Wege wollen wir jetzt gehen. 

Mit jedem konkreteren Gedanken wurde die Liste der Dinge, die wir klären mussten, länger. Und das war ein gutes Zeichen! Denn es bedeutete, dass wir uns nicht mehr fragten, ob wir es tun, sondern wie wir es umsetzen.

Die To-do-Liste wuchs – und unser Mut auch

Ein Sabbatjahr bedeutet weit mehr als nur eine lange Reise. Es bedeutet, sein komplettes Leben für eine Weile umzustellen. Plötzlich standen wir vor großen Fragen:

  • Job: Wie gelingt es uns, als Selbstständige unseren Betrieb komplett auf Remote-Business umzustellen? 
  • Haus: Vermieten oder leer stehen lassen?
  • Finanzen: Wie viel kostet das? Wo können wir sparen?
  • Schule: Was bedeutet das für unsere Kinder? Können wir eine Schulbeurlaubung durchsetzen?
  • Route: Welche Länder wollen wir sehen? Wie planen wir sinnvoll?

Am Anfang fühlten sich diese Fragen wie riesige Hürden an. Doch je tiefer wir einstiegen, desto mehr merkten wir: Alles ist lösbar. Manche Dinge brauchen Mut, andere eine Menge Organisation, aber nichts davon ist unmöglich.

Der Wendepunkt: Wir setzen es in Bewegung

Nachdem wir ein halbes Jahr lang an unserem Mindset gearbeitet hatten, folgten die ersten konkreten Schritte. So richtig verbindlich wurde es aber erst, als wir unseren Plan nicht mehr nur für uns behielten, sondern begannen, darüber zu sprechen. Wir erzählten Familie und Freunden davon – und plötzlich fühlte es sich nicht mehr nur wie eine Idee an, sondern wie eine Realität in der Mache.

Natürlich gab es skeptische Reaktionen. Und was ist mit eurem Betrieb? Ist das nicht riskant? Wie macht ihr das mit der Schule?

Klar, das sind berechtigte Fragen. Aber wir hatten uns bereits so intensiv damit auseinandergesetzt, dass wir darauf Antworten hatten. Und vor allem hatten wir eins: Die Überzeugung, dass wir das Richtige tun.

Was wir aus diesem Prozess gelernt haben

Eine Weltreise zu planen, ist eine riesige organisatorische Aufgabe. Aber die eigentliche Herausforderung beginnt im Kopf. Sich wirklich auf die Idee einzulassen, anstatt sie nur als „irgendwann mal“ abzutun – das war der größte Schritt.

Unser Learning: Wenn man sich mit einer großen Idee intensiv beschäftigt, verliert sie ihren Schrecken. Die Hürden werden greifbarer – und damit lösbarer. Und am Ende ist es oft nur eine Frage des Mindsets: Träumst Du weiter – oder setzt Du den ersten Schritt?

Wir haben unseren ersten Schritt gemacht. Unsere Reise beginnt.

Irene und Sebastian

Irene & Sebastian | wirreisenjetzt.de